Goodbye Texas

Ich konnte mich nicht von der Mattscheibe lösen. Zwar versprach die Wahl nicht sonderlich spannend zu werden. Die farge war, wie manche Blogger und kommentatoren konstatierten lediglich die, wie hoch Barack Obama die Wahl gewinnen würde. Jetzt nach dem Ausgang der Wahl, der Rede des republikanischen Kandidaten McCain verdetlich sich auch die politische Notwendigkeit für diesen so eindeutigen Sieg um Amerika als ein vereintes Land durch schwere Zeiten zu führen, das Land letztlich auch wieder mit seiner Führung zu versöhnen. Hier ist es McCain gewesen, der in seiner Ansprache Obama als Gegner und künftigen Präsidenten zu preisen und das Land, die Amerikaner für die Möglichkeiten zu ehren einen solchen Sieg möglich zu machen und Rassengrenzen zu überwinden. McCain hielt eine Rede, die der historischen Dimension der Wahl gerecht wurde und fand prägende Worte der Versöhnung und demonstrierte zudem noch, dass Patriotismus eine positive, verbindende, ja fast schon demütige Eigenschaft sein kann und sich von dem so sehr unterscheiden kann, wovor wir uns in Deutschland noch so fürchten.

Obama führt eine gerade Rede, klar, offen. Mit Dank und ausgestreckter Hand zu seinen politischen Gegner und dem Dank zu seinen nächsten, ohne zuviel Pathos, wie ich finde um dann sich an die Wähler zu wenden, denen er den Sieg zuweist. Er spricht alle Amerikaner an: Von den Demokraten zu den Republikanern, die vielen Minderheiten, die in dieser Wahl sich als Mehrheit zum ersten Mal in der Geschichte Amerikas als einflussreiches polititsche Kraft präsentierten. Im Anschluss kommt er mit Blick auf die schweren Aufgaben die auf das Land zukommen auf die Inhalte seines Programms zu sprechen. We as People can do it! Yes we can! Er spricht auf eine neue Ära der Verantwortung und des sozialen Ausgleiches an. Und er spricht von Werten und davon Trennendes zu überwinden, indem man demütig mit der Macht umgeht. Share/change sind die Worte des zukünftigen Präsidenten an die Welt .

Und als er auf die 106 Jahre alte Dame zu sprechen kommt stellt er an ihrem Schicksal dar, wozu Amerika in der Lage ist, fähig zum Wandel, auf den Weg in eine wahre Demokratie. Martin Luther King lässt er in der Aufzählung nicht unerwähnt und mir scheint, als würde seine Rhetorik auf Kings "I have a dream" schmetternd antworten: "Yes we can!" In diesem letzten Teil manifestiert sich dann natürlich der Pathos, der zu erwarten war. Zugleich aber kündigt er dass die Aufgaben manche Last für das amerikanische Volk bedeuten und dass Wandel sich nicht von Heute auf Morgen umsetzen lässt. Yes we can wird so auch zu einer Ankündigung der Realitäten politischer Verantwortung, Solidarität und Ehrlichkeit.

Amerika und die Welt sind erleichtert, wie es scheint. Und der Mann der die Rede hielt ist ein würdiger Mann, eine Hoffnung für das Amt des Präsidenten der Weltmacht Amerika.
Gregor Keuschnig - 5. November, 10:24

Ja, aber die Probleme fangen jetzt erst an. Und wenn die Stimmen in Gänze nimmt, so kommt man auf 53:47 für Obama. Das heisst: 47% (über 53 Millionen Menschen) wählen McCain und damit einen Republikaner. Trotz der desaströsen Bush-Bilanz!

Karl Gumbricht - 5. November, 12:18

Das ist natürlich wahr, dass ein Zweiparteiensystem erst mal eine Wunde zu hinterlassen scheint. McCain war zudem nicht ein klassischer "Weiterso"-Kandidat der Republikaner. Die amerikanischen Beobachter der Rede von Obama wiesen darauf hin, das Barack Obama mit der Rede schon seiner Rolle als conciliator, als Schlichter und Vermittler also übernommen hat, was die Kommentatoren als eine seiner wichtigen Qualitäten ausmachen. Aber auch McCain hat ja den moderat, patriotischen Teil seiner Wählerschaft auf die Präsidentschaft Obamas eingestimmt. Mir scheint es fast so, als sei dasjenige, was wir oft als Gefahr sehen, nämlich die starke Identifikation mit dem Präsidenten nach einem solchen, glücklicherweise eindeutigem Ergebnis, die amerikanische Gesellschaft zusammenführen kann. Nicht alle gleichermaßen, aber den Großteil der Wähler mit Sicherheit.
alteverything - 5. November, 13:14

Ich durfte heute Vormittag eine eigenartige Feststellung machen. Obwohl ich den Wahlkampf nur gelegentlich verfolgt habe, und auch heute Nacht nicht unruhiger als sonst geschlafen habe, bin ich auf eine merkwürdige Weise erleichtert. Als würden sich seit meiner Kenntnisnahme unbewusst aufgebaute Spannungen lösen. Dazu Obamas Ansprache vor 125 Tausend "Fans", Wählern, Demokraten: Sie ist die erste, die ich mir vorhin in voller Länge angesehen habe. Nicht aus Ignoranz - sondern weil ich im Vorfeld durchaus zwar an ihn, aber nicht an die Amerikaner "geglaubt" habe. Die Prognosen hin oder her: Die Wahl McCains hätte mich nicht überrascht.

Dass Obama, seine Rede, seine Präsenz, mich bewegt, trotz des Pathos, begreife ich nicht ganz. "Würdig" ist in meinen Augen nicht ganz das rechte Wort. Mich irritiert, positiv, seine Ruhe, seine Fassung, die mir Unbeirbarkeit und Bodenständigkeit vermitteln. Als ob es so hätte kommen müssen - und er es gewusst hätte. Ich habe Menschen schon von seinem Vertrauen in seine "Mission" reden hören.

Vermutlich liegt meine leise Ergriffenheit an der Kombination seiner Person mit dem Amt, in das er gewählt worden ist. Manchmal bezeugt man dann zu Lebzeiten offensichtlich doch, wie Menschen dank ihren Entscheidungen die Welt ein kleines Stück verschieben, Schritt für Schritt.

Gregor Keuschnig - 5. November, 13:27

Mir geht es ähnlich, obwohl mir die "Obamania" schon arg auf den Geist gegangen ist, mindestens zwischendurch.

Das Beruhigende an Obama ist seine Ruhe selber. Man hat das Gefühl: da weiss einer, was er tut und wie er es tut. Zudem ist Obama eine Projektionsfläche. Nach Jahren eines Stils, der nicht nur die USA beschädigt hat sondern die gesamten westlichen "Werte" mit Füssen trat (obwohl es ja offiziell genau anders sein sollte), scheint Obama wieder eine Versöhnung zwischen Europa und den USA und der westlichen Welt mit dem Rest herbeiführen zu können.

Im Gegensatz zu 2004 gab es kein "Bulletin" von Al-Qaida. Auch "Fox" hat nicht mit den dicken Klumpen Dreck geworfen, wie an erwartet hat. Und vielen rechten republikanern war McCain zu wankelmütig; sie haben ihre Unterstützung aufgegeben und Obama in Kauf genommen (der Angriff kommt 2012).

Die politische Kultur ändert sich (die Aussenpolitik eher weniger - obwohl er wohl Guantánamo schliessen wird). Und so hat auf verrückte Art erst Bush und sein desaströses Gepoltere, das er mit Politik verwechselte, Obama möglich gemacht.
Karl Gumbricht - 5. November, 14:11

Also scheint uns diese Überraschung gegenüber diesem Kandidaten, dem Ausgang der Wahl und diesem ganz anderen Duktus des zukünftigen Präsidenten in gleicher Weise zu fesseln. Nun ja es hängt ja auch viel davon ab. Aber es stimmt, es ist der Ernst von Obama. Das was in Amerika als Vision oder Mission verstanden übersetze ich nach der Rede, die mich mitgerissen hat, mit Nachhaltigkeit. Am nächsten kam ich dem Kandidaten, als von seinen Kindern sprach und den Bogen spann zu seiner 106-jährigen. Wenn ihn wirklich diese Fragestellung bewegt, dann meint er es mit dem Wandel wirklich ernst, so meine Hoffnung.

Und diese deutliche Orientierung an Werten als Stärke der Nation und ihre Befähigung zum Wandel, das ist mir neu. Werte die im übrigen Verfassungswerte sind, bürgerliche Werte, die nicht religiös aufgeladen sind.

Alles Hoffnung - aber wenigstens das!
Gregor Keuschnig - 5. November, 14:14

Wobei man andererseits liest, dass die Sachzwänge sehr gross seien. Carter sei beispielsweise daran gescheitert. Die Frag eist, ob nicht die Erwartungshaltung zu gross wird. Daher auch schon in der Rede die Rede davon, Fehler zu machen. Die Republikaner können froh sein: Sie hinterlassen einen Augiasstall. Aber ist Obama Herkules?
Karl Gumbricht - 5. November, 14:31

Ja richtig, der Hinweis auf Fehler (Obama sagte, meine ich, Fehlstart) und auch so manche Entscheidung die nicht alle tragen könnten, in denen er aber gerade den Kritikern besonderes Gehör schenken wolle... das habe ich als Einschluss und Zugeständnis an die Realitäten politischer Entscheidungen verstanden. Den Blick auf die Sachzwänge etc. Wenn Obama der Rolle als "conciliator" gerecht wird, dann kann man auf eine solidarische, bzw, partnerschaftliche Politik für Amerika und die Welt hoffen. Das ist, selbst wenn Amerika natürlich eigen Interessen als erstes verfolgt eine andere Sprache, als der Unilateralismus der Bush-administration.

Vielleicht ist er nach Bush einfach mal ein Präsident, der die im Blick behält, die ihn wählten und so den Beratern die ihn zwangsläufig umgeben werden den differenzierten Willen seiner Wählerschaft zu vertreten weiß. Ein Politiker eben und keine Marionette. Das wäre mal was!
alteverything - 5. November, 14:50

Für mich ist es (derzeit noch) vollkommen unerheblich, welche Sachzwänge Obama in den ersten Monaten seiner Amtszeit wird bewältigen müssen. Die Passage mit der 106 Jahre alten Dame, die er vor einem Lokal angetroffen hat, weckt für mich erst meine "Verbundenheit" mit ihm, knüpft aber keine übermenschlichen Erwartungen an ihn. Das Beeindruckende ist, dass er gewählt worden ist, dass die US-Amerikaner sich als bereit erwiesen haben, jemanden wie ihn zu wählen. Das Dauergeblubber von Chancengleichheit, gesellschaftlicher Offenheit und Werteorientierung hat durch ihn plötzlich Substanz - weil er nicht nur über, sondern auch für und von Menschen, denen diese Gleichheiten vorenthalten werden, spricht. In gewissem Sinne ist er "repräsentativer", weil er einer unterrepräsentierten Minderheit entstammt, für die die gesellschaftlich-demokratischen Ideale vielfach ungreifbar sind.
Gregor Keuschnig - 5. November, 15:46

Naja, zwei Sachen darf man nicht vergessen:

1. Das Land liegt moralisch und ökonomisch am Boden. Alles war besser als der Status quo.

2. McCain hat 47% bekommen; so eindeutig ist die Mehrheit in Wirklichkeit nicht (wie bspw. bei Clintons zweiter Amtszeit). Die Vorbehalte gegenüber Obama waren einfach nicht entscheidend - mehr erst einmal nicht.

Und natürlich ist es relevant, wie sich Obama besonders in den ersten Monaten "aufstellt". Hoffentlich macht er nicht den gleichen Fehler wie Clinton, dessen erste Monate eine Katastrophe waren.

Die Erwartungen, die er auch selber geschürt hat, sind enorm. Daher ist es nicht nur wichtig, das er gewählt wurde, sondern auch das er nicht scheitert. Denn sein Scheitern würde ihm anders ausgelegt, als das Scheitern eines Bush beispielsweise.
alteverything - 5. November, 18:02

Die 47% sind zwar richtig. Allerdings erzählte mir mein Vater vorhin am Telefon ein paar Details aus den Wahlanalysen: McCain sein hautpsächlich von den über 64-Jährigen - dem "old America" gewählt worden, während Obama vor allem junge Wähler, die dem Wahlauruf bisher nur bedingt gefolgt sind, - das "young America" mobilisieren konnte.

Was die Erwartungen betrifft, hast Du sicher recht. Allerdings bin ich ein wenig optimistischer für den Fall eines "komplizierten" Starts. Die Umstände sind katastrophal, wie Du aufzeigst, und umso mehr hoffe ich um ein Bewusstsein in der Bevölkerung, das die Euphorie in Geduld übergehen lässt. Ob er diese Geduld wiederum verdient, wird maßgeblich davon abhängen, wie aufrichtig, sprich: wie transparent er seine Amtsausübung letztendlich gestalten wird.

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