Die Erotik der Kontemplation
Die Erotik der Kontemplation
Einführung
Aus der Geschwätzigkeit des Abends schält sich die Musik heraus, die versucht lautstark Bahn zu brechen in das Bewusstsein der Kneipenbesucher, die sich wiederum nicht lösen können aus den eigenen Gedanken, geschweige denn von der mühe- und kunstvoll zurecht gelegten Replik, die immer noch unerwähnt an den Toren der Innerlichkeit darauf warten endlich geboren zu werden. Der Tatendurst der Redner peitscht die Stimmen gegen den Beat und die Melodie des heißen Blues an, der dennoch langsam in die Glieder kriecht und sie zucken lässt, steife Körper in Schwingung versetzt. Dann ist da der Sound der Dobroguitar, ein wohliges Jaulen und dann eine Kaskade fallender und wieder ansteigender Töne. Da sitzt der Mann mit der Gitarre zwischen den anderen Musikern, die schweren Lieder über den großen Augen geschlossen. Der Kopf wiegt sich im Takt und stößt dann und wann die Akkorde hinaus und es geht eine leichtes Beben über die Lippen, als sänge der Musiker seiner Gitarre das Lied vor, dass sie zum klingen bringen solle. Ein schöner Mann. Lange schwarze Haare, zum Zopf zurück gebunden; ein schmales Gesicht, beschattet durch den nachwachsenden Bart. Er neigt sich ganz über seine Gitarre und nur wenn die Begeisterung der Musik ihn zu einem Ausbruch treibt, stößt er das Kinn nach oben, zeigte seine weißen, geraden Zähne mit einem verklärten Lächeln und die Augen suchen kurz den Kontakt zu den anderen Musikern. Dann versinkt er erneut über sein Instrument. Sein Blick ist nach Innen gewendet. Er scheint sich seiner Wirkung nicht bewusst zu sein, dass ihm die Herzen zufliegen, Musik und Schönheit eine Einheit bilden und er das Spiegelbild der Regungen wird, die die Musik in unserer Imagination auslöst. Ihm aber geht es allein um die Musik. Darin geht er völlig auf. Die Aufmerksamkeit richtete sich ungeteilt auf den Raum, in dem er sich mit den anderen Musikern bewegt, immer nah an dem Abgrund eines unendlichen Klangkosmos der sich nur ihm manifetiert. Diese Innerlichkeit, die sich vor uns abspielt gleicht der Offenbarung eines intimen Moments - das Moment des Musizierens mit all seiner Hingabe und Kontemplation auf der einen Seite und, auf der anderen, die Beobachtung - das Zuschauen, dass zu einem genüsslichen Voyeurismus gerät. Erotik scheint mir das passende Wort für das was sich uns in der ruhigen Entrücktheit des Musikers andeutet. Es ist, neben aller sich veräußernden Ekstase, gerade das Moment der Ruhe, bzw. der Bezogenheit auf sich Selbst und das Instrument, dass das Bild besonders attraktiv erscheinen lässt.
Gibt es, frage ich mich, so etwas wie eine Erotik der Kontemplation? Und wenn der Eros Teil der Kontemplation ist, wie äußert er sich und wie wird er sichtbar? Warum kommuniziert sich der Eros in der Kontemplation dem Betrachter?
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„Das ganze Wollen des Malers muß schweigen. Er soll in sich verstummen lassen alle Stimmen der Voreingenommenheit. Vergessen! Vergessen! Stille schaffen! Ein vollkommenes Echo sein. Die Landschaft spiegelt sich, vermenschlicht sich, denkt sich in mir. Ich steige mit ihr zu den Wurzeln der Welt. Wir keimen. Eine zärtliche Erregung ergreift mich und aus den Wurzeln dieser Erregung steigt dann der Saft, die Farbe. Ich bin der wirklichen Welt geboren. Ich sehe.“ Paul Cezanne
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Vermeers Innenansichten
Sowie ich meine Gedanken rund um die ausgegebene Schlagzeile Erotik der Kontemplation schweifen lasse, kommen mir die Werke Vermeers in den Sinn. Mit seinen Innenansichten stellte Johann Vermeer (1632-1675)die Spannung der versunkenen Betrachtung auf das Trefflichste dar. In dem ich an Vermeer denke - gerade in diesem Zusammenhang - wird mir das eigene starke Hingezogensein zu seinen Werken verständlicher. Durchstreift man die Innenansichten Vermeers, ist es die bewusste Anteilnahme des Betrachters an einem höchst privaten Moment Dritter, die die Erotik des Augenblicks ausmacht. Immer besteht die Anteilnahme des Betrachters in Vermeers Bildern aus dem Einblick. So nah man auch herangeführt wird an die Szenerie, in den meisten Fällen deutet ein Vorhang oder ein Tisch im Vordergrund an, dass ein Schritt weiter nur der Raum der Betrachtung - der Anschauung -, beginnt. Noch verstärkt sich dieses Gefühl der unbewussten Anwesenheit durch die gewählte Perspektive längs der Fensterfront des Zimmers in die Ecke, in der die hohen holländischen Fenster den Raum mit Licht an füllen und die Wand an seiner Stirnseite in stimmungsvolles Hell/Dunkel hüllen. Von dieser Seite, so vermute ich, führt eine Tür zum Raum, der sich mir hier öffnet. Womöglich habe ich den Knauf noch in der Hand, mit dem ich die nur anliegende Tür auf schob, leise, da ich nicht stören wollte, anstatt, wie es der Anstand verlangte, anzuklopfen. Oder ich war so in Gedanken bei mir, dass ich nichts weiter vermutete, als ich das Zimmer betreten wollte und dann eröffnet sich mir, für den kurzen Augenblick der Überraschung, eine Szenerie, in der ich fremd bin. Die Bedeutung des Hintergrundes, der fensterlosen Wand, mit Bildern und Tapisserien ausgestattet, der Schatten, Licht und Farbe spendet und Rückhalt ist, trägt eine Vielzahl von Informationen im Wechselspiel ihrer Elemente. In diesen Räumen kann alles als Anspielung auf das Innenleben und die Beziehungen ihrer Akteure verstanden werden. Und der Betrachter durch die Augen des Künstlers zum Voyeur. Ohne Nacktheit, ohne Offensichtlichkeit, ohne direkte Laszivität entseht eine erotische Spannung. Grund genug kurz über Erotik und Nacktheit nachzudenken.
Erotik und Nacktheit
Besteht Erotik nur in der Darstellung von Nacktheit? Nicht jede Nacktheit taugt zur Projektion erotischer Phantasien, darin wird man sich schnell einig. In einem Interview, dass Rudij Bergmann dem Kulturkanal Arte anlässlich der Ausstrahlung seiner Dokumentation "Nackt ist die Kunst" (Arte 2006) gab, konstatiert Bergmann die Ambivalenz der Nacktheit zwischen Schönheit und Schrecklichkeit. Die Darstellung des alternden Körpers, beispielsweise, entzieht sich des erotischen und kann zum Symbol des Verfalls werden. Nach einem der grausamsten Jahrhunderte wirkt der Gedanke an abertausende nackter Kadaver wie ein Störfeuer für das, was ich hier im Eigentlichen besprechen will.
Dennoch muss es gedacht sein und begriffen werden, dass Nacktheit in seiner Darstellung erst durch den Kontext erotisch wird und im gleichen Maße ein Stillleben, eine scheinbar unverfängliche Szenerie, die Konzentration des Motives, ihre Kontemplation, die Perspektive eines Kunstwerkes, Assoziationen erlaubt, die erotische Wirkungen in sich tragen. Heute allerdings wirkt Nacktheit kaum noch irritierend oder provozierend. Die sicherlich intendierte und durch die Künstler gesuchte Erhöhung des Motives des nackten Körpers zu etwas anbetungswürdigen und göttlichen wird durch die erotische Konnotation gefördert, ob diese heute aber noch verstanden wird, eben auch in ihrer provokativen Kraft, kann in Frage gestellt werden. Jeder Skandal verpufft vor den Abziehbildern einer pornographisch verzerrten Werbewirklichkeit, die Nacktheit und Sexualsymbolik plakatiert und dem malmenden Mainstream preis gibt. Die Erotik verschafft sich aber auch heute noch in der Kunst Präsenz und eine ungebrochene Kraft. Sie schafft es heute wie damals, als Nacktheit skandalös, provokant und erotisch sein konnte, durch den sie umfassenden Kontext.
Erotische Techniken in der Kunst
Edward Lucie-Smith weist in seiner Untersuchung zur "Erotik in der Kunst" (Lichtenberg Verlag München 1997) darauf hin, dass die Kunst der Erotik in der Kunst nicht selten durch die Beigabe von Accessiores gesteigert wurde. Es ist ein der Techniken erotischer Darstellung. Sie steht neben- und nicht selten in Verbindung mit anderen Techniken.
Das versteckte Betrachten ist ein weiteres kraftvolles Mittel. Der Künstler als Voyeur, der Betrachter als sein Komplize und - in seiner gesteigerten, erotischen Form - der Betrachter in der Bildwirklichkeit, der sich dem Akt zuwendet und an dessen Betrachtung wir Teil haben.
Bei Jan Vermeer erleben wir dies in dem Bild "Die Briefeschreiberin und die Dienstmagd" (1670- National Gallery of Irland, Dublin). Hier entsteht, ganz ohne Nacktheit, eine erotische Beziehung zwischen Betrachter, Dienstmagd und der Briefeschreiberin, die voller Spannung ist. Jan Vermeer lässt den Bildbetrachter aber mit seiner Intuition für die Lichtstimmung, der Intimität des Momentes und der offenkundigen Belustigung und Mitwisserschaft der Dienerin nicht allein. Im Hintergrund lässt ein großes Gemälde in Chiaroscuro den Blick auf eine Szenerie mit Nackten, die sich aus einer dunklen Landschaft heraus schälen, erahnen, in welcher Verfassung sich die Briefeschreiberin wohl befindet. Oder sie deutet auf das hin, was die Magd sich denken mag während sie scheinbar unbeteiligt aus dem Fenster blickt. Eine Folge und eine weitere Steigerung erfährt der Voyeurismus durch die Entdeckung. Erkannt werden heißt Objekt werden. Das berühmte Portrait des Mädchens mit dem Perlenohringen. spielt mit dieser Faszination, richtet sie ihren Blick doch direkt auf den Betrachter, den Künstler, der im Moment höchster Konzentration und Anziehung durch das Modell von diesem selbst mit Neugierde betrachtet wird. Diese Wechselwirkung zwischen Objekt und Betrachter finden wir auch bei dem skandalträchtigeren Bild der Olympia von Manet (1865) und früher noch bei Goya, La Maya desnuda (um 1800).
Abschließend möchte ich noch das Symbol als Verstärker erwähnen. Die sakrale oder mystisch motivierte Kunst der westlichen Welt ergänzt die Nacktheit durch die Symbole des Glaubens, dessen Tugenden oder Sünden und nicht selten durch die Darstellung von Schmerz und Verdammnis. Die Kulturen, die noch frei von der Erbsünde waren, haben hingegen Zeugnisse sakraler Kunst hinterlassen, die die Sexualität feierten. Allerdings soll es hier nicht um eine Kulturkritik gehen. *
Die erotische Beigabe - begehrte Symbole
Die Milchmagd (1658-1660) ist ein Bild von höchster erotischer Kraft und ein schönes Beispiel für die Sprache der Symbole. Lassen wir die Lichtstimmung außen vor, gehen wir nicht auf die Farbigkeit ein, den verklärten Ausdruck im rosigen, weich gezeichneten Gesicht der Magd und ihrer zärtliche Geste beim Einschenken der Milch in einen irdenen Krug. Konzentrieren wir auf die zwei nahe liegenden Gaben, die die Magd dort bereitet und denen Vermeer eine besondere Qualität verleiht. Die Milch und das Brot. Ich lese über die Milch, dass sie als Symbol für Überfluss und Wohlbefinden gilt. Neben diesem Subtext hat Vermeer die Flüssigkeit in seiner speziellen samtigen Eigenschaft ganz sparsam nur, aber kraftvoll in Szene gesetzt. Ich lasse es dem Betrachter offen, was er sehen mag, die Beziehung zwischen der Milch und der Magd geht jedoch über die dargestellte Handlung hinaus.
Das Brot hingegen breitet sich über dem Tisch aus. Das Brot als Urbild für das Leben. Das leibliche leben. Zum greifen nahe liegt da die Assoziation. Auch hier lenkt Vermeer den Blick erneut auf die Qualität der Oberflächen in dem besonderen Licht. So wie Vermeer hier mit Symbole in den Vordergrund stellt, so sind auf anderen Werken Vermeers nicht nur die Gegenstände mit denen sich die Briefe lesenden, musizierenden und stickenden Damen beschäftigen aufgeladen mit sinnhaften Unterstellungen. Bei der „Briefeschreiberin und die Dienstmagd“ verwies ich bereits auf das Bild im Hintergrund.
In der „Allegorie des Glaubens“ (1671-1674) umgibt Vermeer eine ekstatisch, verklärt die Augen zum Himmel verdrehende Dame mit allerlei kirchlicher Symbole, vom Kreuz über die Schlange bis hin zu dem Apfel. Es steht ein Kelch hinter einem aufgeschlagenen Buch auf einem Tisch, der unter schwerem dunklen Stoff verborgen bleibt. Und hinter der weit dekolltierten Dame mit der Perlenkette (sie greift sich mit der rechten Hand an die Brust) stellt ein großes Gemälde Christi Kreuzigung dar. Alles in allem wirkt die Szene eher kokett, denn erhaben. Und in ihr schwingt dieses seichte Wohlgefühl verklärender religiöser Inbrunst, die Geilheit an der eigenen Keuschheit, dem eigenen vermeintlichen Leid.
Kontemplation und Eros
Auf der Suche nach Zeugen für den langen Gang dieses Gedankens reicht es sicher nicht aus die wenigen Zeugen zu bemühen, bei denen ich ein gewisse Bindung an das Thema ablese. Die vorangestellte Betrachtung von Paul Cezanne spiegelt eher ein Fährte wieder, der ich nicht widerstehen konnte, entspricht es doch dem Wunsch des Betrachters (und natürlich des Autors), die Kunst sei Ausdruck einer höheren Wahrheit. Das Beschriebene ist jedoch bis hierher, stets die Perspektive des Betrachters, denn auch Vermeers Beigaben und Inszenierungen weisen nicht auf die Innerlichkeit, das Selbstverständnis oder gar den tatsächlichen Zustand der Figuren seiner Bilder hin. Es ist ein idealisierter Ausschnitt der Welt. Diese Ruhe aber, die sich beim Betrachten der Bilder Vermeers breit macht und dieser kontemplativen Momente enthält jene Schönheit, die sich nur dem gebremsten Begehren offenbart, wie Rüdiger Safranski in einem Essay schreibt. Platons Auffassung von Eros, stellt neben den schöpferischen Impuls - den Tätigen - auch ein starkes komtemplatives Moment: " "die "Schau" des Schönen... Dabei wird das Sein gelassen im Sinne von: in Ruhe gelassen mit der Folge, dass dieses sich in seiner Fülle zeigen kann. Die Ruhe des Sehens bereitet der erscheinenden Welt eine Bühne.", - man muss sich zurückhalten, so Safranskis Kommentar. Für Platon ist dieses erotische Sehen das Modell für Theorie überhaupt, ein Modell für die Philosophie. "Sie verdankt sich dem Eros oder, wie Freud sagen wird, der "zielgehemmten" Liebe. "Den Eros begreifen heißt, sich des Apriori der Philosophie, ihrer Treibkraft, zu vergewissern. Philosophie ist Erkennen aus Liebe."
Der Nachweis ist sicherlich nicht zu erbringen, dass alle Kontemplation vom Eros beseelt sei und also zwangsläufig eine erotische Konnotation habe. Es kann auch nicht Ziel dieser Untersuchung sein dem Schöpfungsprozessen von Kunst und Geist allein aus Platons Definition, des schöpferischen Eros abzuleiten. Neben die verinnerlichte Ekstase der Kontemplation tritt die veräußerlichte Wildheit, der kreative Ausbruch, die Aktion, es taucht die künstlerische Didaktik a la Beuys, die soziale Plastik oder analytische Schöpfungsprozesse auf. Sie alle in einen erotischen oder in einen kontemplativen Kontext zu stellen, würde der hier angestrebten Betrachtung und der Vielfalt der Prozesse in Gedanken- und Kunstschöpfung und den Kultur- und Kultusschaffenden, nicht gerecht werden. So wie Savranski aber in seinem Essay konstatiert, dass der Eros in den Wissenschaften erkaltet sei, da der "erklärte" Eros den alles "Erklärenden Eros verdrängt und der Liebesgott wissenschaftlich entzaubert wird, lohne es sich, zurückzublicken auf Versuche, mit seiner Hilfe die Welt zu deuten. Denn was Savranski für die Philosophie in Anspruch nimmt gilt auch für die Kunst: "Sie unterhält ein anderes Verhältnis zu den erregenden Dingen des Lebens. Sie gehört von alters her zu einem Theorietypus, wo nicht nur über die Erregung, sondern aus Erregung gedacht wird."
November 2007
Quellen:
- Der erkaltete Eros, Rüdiger Savranski, NZZ 2001
- Lucie-Smith, Edward; Erotik in der Kunst, Lichtenberg, 1997 München