VirtuellesSeminar.HeidelbergerVorlesung2007.Annäherung
Herbst schreibt kraftvoll. Viele Denkanstöße finde ich schon in seiner ersten Vorlesung . Ich muss seine Ausführungen nach dem ersten Teil beiseite legen um eigene Gedanken zu fassen, die mich bewegen, ohne die Tiefen zu kennen, die Herbst noch ausloten will.
Da ist zum Einen die Dichtung als Deutungshof und die darum herum angesiedelten Begriffe der "unscharfen Schärfe" und des "raumlosen Raumes". Beides wunderbare Analogien zu dem was sich im Schreiben und im Denken tut, wenn - ja wenn sich dieser Prozess nicht auf eine Ziel zubewegt sondern im Trüben fischt, im Nebel stochert. Und es sind beides Bezeichnungen für eine räumliche und eine quantitative Qualität, die in der Fortführung der "Sprache, die sich selbst mitteilt" dem Begriff "Dichtung" wieder neu belebt und von seiner funktionalen, weil scheinbar beschreibenden Bedeutung, mehr ablesbar wird als zunächst gedacht.
Die "unscharfe Schärfe" als literarisch/quantitative Qualität bezeichnet den Versuch der Dichtung im U m - R a u m der verwendeten (Gegenstands-)Wörter, ihrer deskriptiven und assoziativen Präsenz, eine nur auf die Wahrnehmung des Lesers zielende Fülle frei zu lassen, die Herbst wiederum als Möglichkeitspotentiale denken würde. In der Möglichkeitspoetik - auch ein Begriff den Herbst in diesem Zusammenhang benutzt - verblasst die Wirklichkeit in dem Strom der Möglichkeiten und es entsteht ein fantastischer Text, eine Fiktion, die sich allerdings - wie jede Fantastik, wie jede Mystik - auf die Realität bezieht. Nichts besonderes? Herbst behauptet aber, literarische Welten besäßen eine besondere Eigenständigkeit, die ja dann wieder Auswirkung auf die scheinbar reale Welt hätten, denn Eigenständigkeit bedingt ja auch eine gewisse Energie. Zudem erübrige sich so die Frage nach der "Wirklichkeit" oder auch verböte es sich nach dem autobiographischen Faden des Autors nachzufragen, da dieser sich ja in Erzählung auflöst und die einzige Antwort dann ehrlicher weise bliebe: "Ja es gibt genau einen autobiographischen Zusammenhang zwischen dem Werk und meinem Leben: Ich war es der das geschrieben hat!" (War es Mosebach, der das bei der Buchmesse sagte? Ich habe es jedenfalls nicht gesagt, nur gesammelt.)
Was schafft unscharfe Schärfe?
Und hier beginnt mein Verständnis für das Plädoyer Herbsts, indem er für eine Freiheit von Funktion in der Dichtung spricht. Dies ist, so scheint es, ein zentraler Aspekt von Herbsts Kunstauffassung zu sein. Herbst stellt die Sonderrolle der Sprache heraus, gegenüber anderen künstlerischen Techniken, wie der Musik. Worte seien stärker an eine funktionale Wirklichkeit gebunden, als es Musik und Noten seien, die einen eigenen Abstraktionsgrad erreicht. Walter Benjamin scheidet "zwischen dem Namens- und dem Begriffsanteil eines Wortes. Der Name ist das, was ein Wort i s t; der Begriff das, was ein Wort bezeichnen soll." Dieses Spannungsfeld zwischen der metaphysischen Komponente des Namenanteils des Wortes und dem funktionalen Begriffsanteil, der bezeichnet wozu wir das Ding, welches dieses Wort meint, "in unserem eigenen und/oder dem Interesse des anderen benutzen". Herbst will den direktesten Weg zwischen Name und Begriff auflösen durch eine E N T - D I C H T U N G. Kann es sein, dass er dies mit unscharfer Schärfe meint? Nicht das Wort vereinnahmen - schon gar nicht als Produzent von Literatur, von Kunst. Die Vereinnahmung beginnt in der Profanisierung von Begrifflichkeiten durch die Festlegung kalkulierbarer Interpretationsmöglichkeiten aller verwendeter Begriffe. Hier deckt sich der Gedanke von Herbst mit der Idee einer Philosophie des blassen Schimmers, der der Autor dieses Textes anhängt. Herbst spricht von "einer unangemessenen Hochschätzung für konkrete, konkretisierter und handelbare Begriffe." Dies setzt eine gewisse Expertise voraus, die nicht jeder einbringen kann. Sie führt in die Einbahnstraße des Jargons. Sie lässt andere draußen. Sie bedient Zielgruppen. Die Vereinnahmung wirkt der Kunst entgegen.
Was ist ein raumloser Raum?
Hier unten erhält man einen Eindruck eines raumlosen Raumes. Hier unten, im WeltWeitenNetz, spürt man die nicht endliche weil unbegonnene Ausdehnung eines Raumes der gleichermassen verbindet und trennt, in dem alles ist und nichts ist. Wenn ich den Rechner runter fahre existiert Unten nicht mehr. Weil ich mich nicht in der Welt bewege ist die Welt nicht. Ist das so? Gilt das auch für die Welt der Bücher? Für die zwischen den Buchdeckeln, den Kapiteln, den Zeilen, den Wörtern entstehenden Welten, die sich auf unsere Welt beziehen, aber nur wenn wir ihre Präsenz dulden und fördern, wenn wir den Raum ausserdem um eine weitere Dimension erweitern: der Zeit. Indem wir die Zeit hinzunehmen nimmt auch die Unschärfe wieder zu. Sowenig ich mich ausserhalb meines Schreibens und Lesens in der Zeit bewege, sowenig befinde ich mich in der Zeit, wenn ich schreibe und lese. Während der Alltag tut kann ich die Zeit nicht bestimmen. Während ich lese bewegt mich das Buch und ich durch das Buch in der Zeit. Es ist nicht so, dass absolute Orte und absolute Zeiten in den Büchern zu finden sind. Es sind unbewusste Annäherungen an die Intuition des Lesers, es Autors, an seine Erfahrungen. Die Kunst macht den Leibraum des Autors, des Lesers sichtbar. Der Leibraum ist der um ein Wahrnehmungsfeld erweiterter Körper. Ob wir rennen, reiten, ein Auto lenken - oder wie Herbst beschreibt: ob wir der Anwesenheit eines dritten Unsichtbaren im Raum bewusst sind - das alles sind Äusserungen des Leibraumes. Diese Spalte zwischen hier und dort ist auch Bedeutungshof.
Da ist zum Einen die Dichtung als Deutungshof und die darum herum angesiedelten Begriffe der "unscharfen Schärfe" und des "raumlosen Raumes". Beides wunderbare Analogien zu dem was sich im Schreiben und im Denken tut, wenn - ja wenn sich dieser Prozess nicht auf eine Ziel zubewegt sondern im Trüben fischt, im Nebel stochert. Und es sind beides Bezeichnungen für eine räumliche und eine quantitative Qualität, die in der Fortführung der "Sprache, die sich selbst mitteilt" dem Begriff "Dichtung" wieder neu belebt und von seiner funktionalen, weil scheinbar beschreibenden Bedeutung, mehr ablesbar wird als zunächst gedacht.
Die "unscharfe Schärfe" als literarisch/quantitative Qualität bezeichnet den Versuch der Dichtung im U m - R a u m der verwendeten (Gegenstands-)Wörter, ihrer deskriptiven und assoziativen Präsenz, eine nur auf die Wahrnehmung des Lesers zielende Fülle frei zu lassen, die Herbst wiederum als Möglichkeitspotentiale denken würde. In der Möglichkeitspoetik - auch ein Begriff den Herbst in diesem Zusammenhang benutzt - verblasst die Wirklichkeit in dem Strom der Möglichkeiten und es entsteht ein fantastischer Text, eine Fiktion, die sich allerdings - wie jede Fantastik, wie jede Mystik - auf die Realität bezieht. Nichts besonderes? Herbst behauptet aber, literarische Welten besäßen eine besondere Eigenständigkeit, die ja dann wieder Auswirkung auf die scheinbar reale Welt hätten, denn Eigenständigkeit bedingt ja auch eine gewisse Energie. Zudem erübrige sich so die Frage nach der "Wirklichkeit" oder auch verböte es sich nach dem autobiographischen Faden des Autors nachzufragen, da dieser sich ja in Erzählung auflöst und die einzige Antwort dann ehrlicher weise bliebe: "Ja es gibt genau einen autobiographischen Zusammenhang zwischen dem Werk und meinem Leben: Ich war es der das geschrieben hat!" (War es Mosebach, der das bei der Buchmesse sagte? Ich habe es jedenfalls nicht gesagt, nur gesammelt.)
Was schafft unscharfe Schärfe?
Und hier beginnt mein Verständnis für das Plädoyer Herbsts, indem er für eine Freiheit von Funktion in der Dichtung spricht. Dies ist, so scheint es, ein zentraler Aspekt von Herbsts Kunstauffassung zu sein. Herbst stellt die Sonderrolle der Sprache heraus, gegenüber anderen künstlerischen Techniken, wie der Musik. Worte seien stärker an eine funktionale Wirklichkeit gebunden, als es Musik und Noten seien, die einen eigenen Abstraktionsgrad erreicht. Walter Benjamin scheidet "zwischen dem Namens- und dem Begriffsanteil eines Wortes. Der Name ist das, was ein Wort i s t; der Begriff das, was ein Wort bezeichnen soll." Dieses Spannungsfeld zwischen der metaphysischen Komponente des Namenanteils des Wortes und dem funktionalen Begriffsanteil, der bezeichnet wozu wir das Ding, welches dieses Wort meint, "in unserem eigenen und/oder dem Interesse des anderen benutzen". Herbst will den direktesten Weg zwischen Name und Begriff auflösen durch eine E N T - D I C H T U N G. Kann es sein, dass er dies mit unscharfer Schärfe meint? Nicht das Wort vereinnahmen - schon gar nicht als Produzent von Literatur, von Kunst. Die Vereinnahmung beginnt in der Profanisierung von Begrifflichkeiten durch die Festlegung kalkulierbarer Interpretationsmöglichkeiten aller verwendeter Begriffe. Hier deckt sich der Gedanke von Herbst mit der Idee einer Philosophie des blassen Schimmers, der der Autor dieses Textes anhängt. Herbst spricht von "einer unangemessenen Hochschätzung für konkrete, konkretisierter und handelbare Begriffe." Dies setzt eine gewisse Expertise voraus, die nicht jeder einbringen kann. Sie führt in die Einbahnstraße des Jargons. Sie lässt andere draußen. Sie bedient Zielgruppen. Die Vereinnahmung wirkt der Kunst entgegen.
Ich möchte noch einmal auf die Form zurückkommen: Form als Medium des Ausgrabens, von dem ich behaupte, daß Kunst es sei, und zugleich als Asservat der handwerklichen Befähigungen, Kunst überhaupt schaffen zu können. [...]Ich hatte zuvor schon, ganz absichtlich und in Anlehnung an Herbst den Unschärfebegriff mit räumlichen Begriffen verknüpft. Mit dem U M - R A U M versuchte ich den Bereich der Sprache, der Dichtung zu beschreiben, in dem die Freiheit der Rezeption eines Werkes stecken. Die Distanz, der Rhythmus, die notwendige E N T - D I C H T U N G. In dem obigen Zitat führt Herbst in der FORM das Räumliche mit dem Quantitativen zu sammen. Das Ausgraben, die Form als Medium und der Raum der sich selbst ausstellt - eine Form der Plastik.
Form ist zudem ein Raum. In ihr findet etwas statt, das sich selber zum Ziel hat.
Was ist ein raumloser Raum?
Hier unten erhält man einen Eindruck eines raumlosen Raumes. Hier unten, im WeltWeitenNetz, spürt man die nicht endliche weil unbegonnene Ausdehnung eines Raumes der gleichermassen verbindet und trennt, in dem alles ist und nichts ist. Wenn ich den Rechner runter fahre existiert Unten nicht mehr. Weil ich mich nicht in der Welt bewege ist die Welt nicht. Ist das so? Gilt das auch für die Welt der Bücher? Für die zwischen den Buchdeckeln, den Kapiteln, den Zeilen, den Wörtern entstehenden Welten, die sich auf unsere Welt beziehen, aber nur wenn wir ihre Präsenz dulden und fördern, wenn wir den Raum ausserdem um eine weitere Dimension erweitern: der Zeit. Indem wir die Zeit hinzunehmen nimmt auch die Unschärfe wieder zu. Sowenig ich mich ausserhalb meines Schreibens und Lesens in der Zeit bewege, sowenig befinde ich mich in der Zeit, wenn ich schreibe und lese. Während der Alltag tut kann ich die Zeit nicht bestimmen. Während ich lese bewegt mich das Buch und ich durch das Buch in der Zeit. Es ist nicht so, dass absolute Orte und absolute Zeiten in den Büchern zu finden sind. Es sind unbewusste Annäherungen an die Intuition des Lesers, es Autors, an seine Erfahrungen. Die Kunst macht den Leibraum des Autors, des Lesers sichtbar. Der Leibraum ist der um ein Wahrnehmungsfeld erweiterter Körper. Ob wir rennen, reiten, ein Auto lenken - oder wie Herbst beschreibt: ob wir der Anwesenheit eines dritten Unsichtbaren im Raum bewusst sind - das alles sind Äusserungen des Leibraumes. Diese Spalte zwischen hier und dort ist auch Bedeutungshof.
Karl Gumbricht - 19. November, 01:02